29.07.21

Die Buchhändler und wir (1)


Bücherbutze Nienburg

Gewiß, wir haben keine Ahnung. Der Buchmarkt ist alt und groß und wir können nur von einem winzigen Ausschnitt berichten, der uns als kleiner unabhängiger Verlag begegnet ist.

Vorab: Der Alltag besteht aus einer Fülle freundlicher Geschäftsvorgänge -- Anfragen und Bestellungen von Buchhandlungen aus dem gesamten deutschen Sprachraum.

Darüberhinaus ist uns begegnet - was unbefangene Leser manchmal zu Fragen veranlaßt -, daß Bücher kleiner Verlage von größeren Buchhandlungen nur zögernd ins Sortiment genommen werden. Man weiß ja nicht, was kommt! Wer das ist! Ob damit ein Geschäft zu machen sein könnte... Verständlich.  Gewiß, wir stoßen durchaus auf die Bereitschaft, Bücher in Kommission zu nehmen. Dann sind wir glücklich! Denn nun kann sich der Buchhändler für die Bücher verwenden und die Bücher werden tatsächlich verkauft. 

Der Hintergrund: Kleine Verlage haben meist keinen eigenen Vertrieb, der sich wirklich so nennen kann, sind keinem System angeschlossen, beschäftigen keine Vertreter. 

Die Auslagen in den größeren Buchhandlungen, nicht verwunderlich, scheinen häufig dem Markt geschuldet. 

Darum ist ein kleiner Verlags auf die Zusammenarbeit mit den kleinen, lokalen Buchhandlungen angewiesen. Diese Stübchen, an welche diejenigen passionierten Leser herantreten, die sich nicht dem bequemen amazon-Weg beugen wollen. Oder die erhoffen, daß der Buchhändler um die Ecke ein neugieriger Selbstleser und ihnen daher verläßlicher Leseratgeber sein wird. Und seine Buchauswahl: fein und erlesen.

Auch der kleine Buchladen präsentiert aber, um seine eigene Existenz zu sichern, zuerst Bücher großer Verlage oder zumindest die von den Leselisten bekannter Zeitschriften (was meist dasselbe ist).  Besondere Lese-Leckerbissen abseitiger Pfade oder gar unbekannter oder schlicht nur lokaler Verlage wird man hier, aus nachvollziehbaren Gründen, also nicht immer finden. 

Doch es gibt die oben erwähnten, goldenen Ausnahmen!

Es gibt Buchhändler, die ihre Leseleidenschaft behalten und sich ihre Offenheit bewahrt haben. Die bereit sind, das zusätzliche unternehmerische Risiko einzugehen - das tatsächlich eines ist! - und kostbare, rare Fläche für Unbekanntes freizumachen. Um Unbekanntes bekannt zu machen! Darin, in dieser Bereitschaft, treffen sie sich mit dem Ansinnen vieler kleiner Verlage. Hier gibt es die große Chance: Buchhändler werben aktiv für das Ungewöhnliche! Was oft das ungewöhnlich Gute ist! In diesem Fall haben wir ihn: die Realisierung eines alten Traumes, den alle einmal geträumt haben: Leser, Buchhändler und Verlage. Dann lohnt sich das Engagement wieder! Das Planen, Schreiben, Herstellen - das Beraten und Verkaufen - das Suchen, Erkunden und Lesen des bisher Unbekannten!

Und so soll hier ein Hoch ausgebracht werden - ein Hoch auf alle wunderbaren Buchhändler, die uns begegnen! Sie setzen auf uns, den kleinen Verlag. Sie öffnen uns ihre Türen, Tische und Schaufenster. Wir werden sie nicht enttäuschen! Wir bringen interessante Produkte.

Solche Produkte, die einen umfassend Belesenen bei der Lektüre des jüngsten rainStein-Buches gestern dazu brachte, anzurufen, nur um wie ein Gourmetkritiker während des Schmauses ins Telefon zu seufzen: "Gut! Sehr gut! Hätte ich nicht gedacht... so gut... ich bin auf Seite siebzig. Entschuldigung! Ich lege auf! - muß weiterlesen!!"

Leserei in Hoya

28.07.21

Es hat kein Ende!

 

Foto: Gundi Abramski

Eine Bushaltestelle vor dem Schloß Glienicke, umgeben vom Grün des Schloßparks, nah bei der berühmten Havel-Agentenbrücke mit dem malerischen Blick auf Schloß Babelsberg und auf die Heilandskirche von Sacrow, der Verbindung zwischen Berlin und Potsdam. 

Wenige Tage, nachdem in Berlin beschlossen worden war, Menschen öffentlich nur noch bargeldlos zu befördern - und damit bewußt und willentlich arme, alte oder leicht behinderte Menschen, die diese moderne Technik nicht besitzen (oder nicht besitzen wollen) oder die diese einfach nicht beherrschen, faktisch vom Transport auszuschließen. 

Hier, an dieser Bushaltestelle, ist ein Ort, von dem aus viele befördert werden wollen. Und jetzt, möglicherweise, nicht mehr in den Bus hineingelassen werden.

Ein echtes Problem. Aber was wird daraus? An diesem öffentlichen Ort? Auf der Werbetafel steht es. Und Gundi Abramski entdeckte es gestern.

Was machen wir damit? Wir haben gehört, Menschen, die solche "Aufschriften" eigenhändig beseitigen, werden von Berliner Gerichten verurteilt. Also lassen wir den Spruch stehen. Sollen ihn sich andere auch ansehen!

Aber was bedeutet der Spruch (- abgesehen vom Ärger, ja der Wut über die Verantwortlichen der Öffentlichen Verkehrsmittel des Landes Berlin)?

Ich vermute: Der Ort industrieller Vernichtung von Juden ist heute für manche Synonym für etwas furchtbar Schreckliches, das ihnen selbst droht oder geschieht. Er soll für sie, in ihren Augen, das an der Grenze Liegende oder eben das Über die Grenze Gehende, Nicht zu Ertragende bezeichnen. 

Auschwitz war das Jenseits der Grenze Liegende. Doch es war unsagbar mehr: es war das Tödliche. Das ist einer der vielen, tiefen Unterschiede: Nichts, gar nichts in unserer Erfahrung hat auch nur entfernt Ähnlichkeit mit dem, was an jenem Ort vorsätzlich und millionenfach und endgültig geschah. 

Was ist hier, im Idyll von Berlin-Wannsee, passiert? Was ist gemeint? Heute und jetzt? Fühlt man sich bargeldlos ins Aus (der Nichtmobilität und des Ausgestoßenseins) geschickt? Oder will man, deshalb, jemanden dorthin schicken? Wen? Diejenigen, die das bargeldlose Verdikt über Berlin verhängt haben? Wünscht man ihnen den Tod - und eine bargeldlose Reise dorthin?

Nachdem ich das Foto am Abend erhalten hatte, konnte ich kaum schlafen. Wannsee ist der Ort der "Wannseekonferenz"! Hier wurde einst, ganz amtlich, der industrielle Mord an Juden beschlossen.

Wie reden wir in dieser Gesellschaft miteinander? Was denken wir übereinander? Was (ver)wünschen wir einander? Und wie verdreht verzweifelt wird die eigene Lage empfunden?

Wenn dieses möglich ist, die Aufschrift im schönsten Idyll, ist vieles möglich. Zu viel.

Meine Antwort: Hören wir auf, einander "endgültig" abzuurteilen, aufzugeben und auszugrenzen, "total" zu verdammen und auszuschließen. Stellen wir stattdessen die Tabus des Miteinanderredens ins Abseits und schauen wir uns als Menschen an. Nur dann kann der "Schaden Deutschlands" geheilt werden.

Sonst geht es weiter, bis zur nächsten Hölle.

Und da wir dabei sind, nehmen Sie doch, als Anregung, auch den neuesten rainStein-Roman: "Hinter dem Schweigen" von Hanna Ringena in die Hand. Hier liegen Antworten bereit.


PS: Das titelgebende Bild des Blogs "Grenzgarten" wurde vom Schloß Babelsberg zu eben dieser oben erwähnten Glienicker-Brücke hin gemacht.

06.07.21

Israel und Deutschland. Eine ungewöhnliche Sicht.



Der kleine, exklusive Berliner Verlag „rainStein“ stellt derzeit den neuen Roman der norddeutsch/französischen Autorin Hanna Ringena vor: ->Hinter dem Schweigen.

Es geht um ein „heißes Eisen“, Israel und Deutschland.

->Hanna Ringena schildert die außergewöhnliche Liebe zwischen dem israelischen Künstler David Salomon und der eigensinnigen Deutschen Johanna Cornelius. David ist verheiratet, seine Frau Tirza und ihre Handlungen scheinen undurchschaubar. Erst im Laufe der Ereignisse wird klar, warum. Johanna fühlt sich von einem unerklärlichen Sog erfasst, der sie nach Frankreich auswandern lässt und schließlich nach Israel führt.

Der Autorin gelingt es, die deutsche Vergangenheit und Teile der israelischen Gegenwart, den Grundkonflikt und Möglichkeiten der Lösung auf ungewohnte Weise darzustellen. Erzählungen, Briefe und Tagebuchaufzeichnungen ziehen jeden, der den Roman liest, in den Bann. Hanna Ringena will, um es mit den Worten von Amos Oz auszudrücken: „… nicht entsetzen, sondern bezaubern".

rainStein schreibt u.a.:

Der offizielle Erscheinungstermin unseres ersten rainStein-Romans "Hinter dem Schweigen" (->Hanna Ringena) lag nur Stunden vor dem Moment, als ->Verena von Hammerstein starb. Verena von Hammerstein, geb. 1922 in Zürich, war Zeitzeugin dessen, was das 20. Jahrhundert an Furchtbarem, Unverständlichem mit sich brachte. Sie war Helferin und Freundin derer, die verfolgt wurden. Sie war Zeugin des langen, zerstörerischen Leidens, das 1945 nicht aufhörte, sondern sich weitertrug, über die Generationen. Auf allen Seiten.

Nicht nur Verena von Hammerstein, die das rainStein-Projekt von Beginn an mitdachte, förderte und auf vielen Wegen selber füllte, auch andere Zeitzeugen, die uns nahestehen, gehen in diesem Jahr langsam von uns fort. Viele andere sind schon gegangen, darunter die Dichter des ->Lyris-Kreises in Jerusalem. Oder auch ->Ingeburg Kähler. Und nur noch wenige sind da zum Berichten aus eigenem Erleben. Bei rainStein sind es so wichtige Stimmen wie ->Marianne Degginger ("Marianne"), die Schwestern ->Rhea und ->Ruth Schönborn ("Das Kind im Park") und ->Yvonne Livay ("Die Frau mit der Lotosblume").

Bedeutsam ist es daher, daß gerade jetzt der Roman ->"Hinter dem Schweigen" erscheint, der den Staffelstab aufnimmt und die Botschaft weiterträgt. Erzählt von einer, die zur "Nachkriegsgeneration" gehört - und damit zu denen, die in ihrem Dasein die Folgen jener Kriegs- und Vernichtungsjahre spüren. Die Fragen sind dieselben. Der Ton ein anderer. - Antwort zu geben, bleibt weiter unsere Sache.

 


25.06.21

Verena von Hammerstein, geb. Rordorf


Eine großartige Frau und rainStein-Mitinitiatorin ging heute von uns: Verena von Hammerstein, geb. Rordorf (1922-2021).

Verena von Hammerstein stammte aus einer uralt eingesessenen Züricher Familie, war Pfarrerstochter, sie studierte Theologie. Ein behüteter, von Bildung und Frömmigkeit bestimmter Weg, so sah es aus. So blieb es auch, dem Wesen nach, jedoch die Richtung änderte sich.

Das lag an ihrer Wachheit, ihrem Charakter, den Menschen, denen sie begegnete und der Zeit, in der sie aufwuchs. Allerdings, ohne Wissen, Zutrauen und Frömmigkeit hätte sie den Weg wohl kaum gehen können.

Denn sie brach mit dem Erwartbaren.

Sie freundete sich seit Kindheit mit jüdischen Mitschülern an, unterstützte aus der Ferne ihre französische jüdische Freundin (die, das wußte Verena noch nicht, in der Resistance kämpfte) und nahm ein jüdisches Flüchtlingskind auf. Juden waren damals auch in der Schweiz nicht sonderlich beliebt.

Nach dem Krieg arbeitete sie als Sekretärin der evangelischen Kirchenleitung in Paris und versuchte die komplizierten Verhältnisse, Motive und Handlungen während der deutschen Besatzungszeit zu verstehen.

Ein gutes Jahr später ging sie zum neugegründeten Ökumenischen Rat der Kirchen in Genf und kümmerte sich u.a. um die Reorganisation der kriegsgeschädigten europäischen Kirchenstrukturen.

Dann tat sie den entscheidenden Schritt: sie war bereit, direkt im ehemaligen Feindesland, in Deutschland, zu arbeiten, ja, bald noch mehr: in einem Flüchtlingslager für deutsche Flüchtlinge. Es waren dort Menschen, die vor den sowjetischen Truppen hatten fliehen müssen (oder vertrieben worden waren), die ihre Heimat in den östlichen Gebieten Deutschlands verloren hatten.

Also war Verena nicht nur bereit, die Leiden der bisher Verfolgten zu lindern, sondern: jegliches Leid. Die Flüchtlinge, die sie in Deutschland (Espelkamp) vorfand, waren traumatisiert, heimatlos, besitzlos, oft waren es Witwen und Waisen. Sie hatten kaum Fürsprecher. Sie gehörten zum Strandgut des Krieges.

Aus der Lagerarbeit tat Verena schließlich den endgültigen Schritt: Sie heiratete einen Deutschen. Nicht irgendeinen, sondern den Bruder ihrer besten Freundin, Hildur von Hammerstein, die sie aus dem gemeinsam verbrachten Jahr in Genf kannte: Franz. Und mit Franz von Hammerstein, dessen Brüder wie Stauffenberg den Sturz Hitlers versucht hatten - und der darum im Zuge der Sippenhaft 1944 bis zum Kriegsende selbst inhaftiert worden war- , begann ein ganz neues Kapitel. 

Die Zuwendung zu denen auf der jeweils anderen Seite und die Treue zu ihren jüdischen Freundinnen blieb. In diesem Sinne suchte und fand Verena ihren eigenen Part, obgleich sie nun den Berufsstationen von Franz folgte: ein mehrjähriges Pfarramt in den USA, das Industriejugendpfarramt, die Aktion Sühnezeichen-Leitung, das Juden-Christen-Referat beim Genfer Ökumenischen Rat der Kirchen, die Leitung der Evangelischen Akademie Berlin (West) - um nur einige zu nennen. Franz hatte in all diesen Ämtern seiner Frau viel zu verdanken. Aber sie erschloß sich darüber hinaus immer mehr eigene Felder. Das größte davon war lange die führende Mitarbeit in größeren und kleineren Organisationen der Entwicklungshilfe, engagiert, unprätentiös und nach neuem Selbstverständnis, Wegen und Ideen suchend.

rainStein war eines der späten Projekte. Aber auch hier war es die Reaktion auf ein offensichtliches Problem: die Sprachlosigkeit zwischen den Generationen, die in Städten rasant zunehmende Anonymität sowie der damit zusammenhängende Verlust von Erinnerung.

Wir waren uns einig, wie nötig es wäre, das Gespräch zwischen den Generationen zu beginnen. So entstand unser Mehrgenerationenprojekt "rainStein" zur Erinnerungskultur. Wir experimentierten, Menschen zwischen 18 und 80 waren beteiligt. 

Nach Jahren noch besteht heute der rainStein Verlag. Verena von Hammerstein trug vielfältig zum Projekt bei. U.a. entstanden mit ihr bei rainStein der Interview-Film "Ich hätte keine Angst" und das Buch "Verena von Hammerstein und ihre jüdischen Freundinnen" (Vorwort: Sara Nachama).

Womit ihr Leben begann, so beschloß sie es: mit der Hingabe an ihren Glauben, ihrer Sorge um ihre jüdischen Freunde und ihrer Sehnsucht, sie möge auf dieser Welt ein Segen gewesen sein. 

Und das war Verena: Ein Segen. Jetzt ist es an uns, zu erinnern.



23.06.21

Hinter dem Schweigen. Roman

 


Wie befinden uns am Vorabend eines - für rainStein! - bemerkenswerten Datums. Im fünfzehnten Jahr des Verlages erscheint der erste Roman. Wie kann ein Verlag so lange ohne Romane auskommen? Das fragen Sie vielleicht. Nun, wir hatten mit anderen  Abenteuern zu tun: Wer verlegt schon Lyrik? Wer stürzt sich auf israelische Literatur? Wer baut aus Recherchen und Interviews umfangreiche biographische Romane und erzählende Dokumentationen? Ganz abgesehen von unseren DVDs und CDs! Ja, und nun also der nächste Schritt. 

Es begann im Herbst 2019 mit dem ganz und gar spontanen Entschluß zweier Menschen, eines Israelis und einer Norddeutschen, die in Berlin die Gedenkstätte "Topographie des Terrors" besuchten: Es sollte ein Roman entstehen! Einer, der zeigt, wie Seelen heilen, wie Brücken entstehen können. Und daraus entwickelten wir noch am gleichen Tag die Idee... 

Kunst und Liebe sind die zwei großen Wirkmächte in Menschen zwischen Deutschland, Frankreich und Israel, sie verwirren und lösen in dieser Erzählung, die wie ein Krimi ist.

Die Frage, die nie losläßt und hier eine der möglichen Antworten erfährt: wie leben wir mit der Last der vorhergehenden Generation? Wie mit eigener Vernichtungserfahrung? Wie können wir zueinander finden? Können wir überhaupt?

Im Roman finden sich keine theoretischen Fragen, es ist ein Geworfen- und Zerrissensein, ein Finden und Hoffen, zwischen Menschen und Kulturen. Geschrieben in kräftiger, lebendiger Sprache von einer, die diese Fragen umtreiben, die in verschiedenen Kulturen beheimatet ist und die, nicht zuletzt, in Südwestfrankreich kreatives Schreiben lehrt.


10.05.21

Bücher in Flammen


Es war im wunderschönen Mai, als alle Vögel sangen - da brachte man Stimmen zum Schafott, die andere Melodien kannten. Am 10. Mai 1933 vernichteten jubelnde Berliner Studenten und Professoren jene Bücher und Schriften, die nicht 100 Prozent der Meinung des Führers, der Partei oder auch nur des "Stürmers" waren. Aber zwischen diesen und auch den persönlichen Abneigungen der am Opernplatz Feiernden war kaum ein Unterschied. Jeder, der als "entartet" benannt, als abweichlerisch, unvölkisch, asozial oder revisionistisch ausgerufen war, wurde hier verbrannt: noch nicht er, physisch, sondern vorerst seine Worte, seine Meinung, sein Denken. Seine Stimme auf dem öffentlichen Markt und in der Aula der Universität. Er sollte verstummen. Und jeder, der hinfort wagen sollte, sich zu ihm zu gesellen, ihn zu lesen, zu zitieren oder ihm anderweitig zuzustimmen oder auch nur entfernt Ähnliches zu äußern oder irgendwie bei ihm zu stehen, würde mit ihm in die Flammen gehen und ausradiert werden. So kam es: Sie wurden ausgeschlossen aus der Reichsschrifttumkammer, ausgelistet in den Buchläden und Bibliotheken, nie mehr erwähnt in Zeitungen, Besprechungen, Plakaten. Keine Verlage mehr, keine Druckereien, keine Agenten, keine Werbung, keine Lesungen. Dafür fanden sie sich übergossen mit einem unsichtbaren Gift. Anderen war durch diese Kennzeichnung jeder geheime und öffentliche Angriff auf die Autoren, ihre Wohnungen und Familien, ihre Freunde und Leser erlaubt: straffrei, ja der lauten Zustimmung sicher.
Es war nicht das erstemal in der Geschichte, daß dies so geschah. Nur war es jetzt schnell landesweit bekannt, jeder hatte Zeitungen, jeder hörte Radio. Jeder wußte Bescheid.
Und man duckte sich im Land. Man las nicht (oder sehr heimlich). Man redete nicht, nicht einmal mehr mit Freunden - darüber. Man fragte nicht mehr danach. Die meisten vergaßen.
Nur wenige Jahre später: Die, die gerade erst noch verbrannt worden waren, kamen zu Ehren, wurden überall gedruckt, besprochen, gelesen, gefeiert - ja, der Scheiterhaufen hatte gebrannt, aber er hatte verloren. Am Ende hatte er nur vorweggenommen und kenntlich gemacht, wer es wert war, von kommenden Generationen gelesen zu werden. 
Denn die, die die Bücher zusammentrugen und die Flammen entfachten, kennt man nicht mehr. Sie sind, was sie sich als Herren, als Elite, als die Guten und Gerechten dieser Welt, nie hatten vorstellen konnten: vergessen, auf immer.

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