25.06.21

Verena von Hammerstein, geb. Rordorf


Eine großartige Frau und rainStein-Mitinitiatorin ging heute von uns: Verena von Hammerstein, geb. Rordorf (1922-2021).

Verena von Hammerstein stammte aus einer uralt eingesessenen Züricher Familie, war Pfarrerstochter, sie studierte Theologie. Ein behüteter, von Bildung und Frömmigkeit bestimmter Weg, so sah es aus. So blieb es auch, dem Wesen nach, jedoch die Richtung änderte sich.

Das lag an ihrer Wachheit, ihrem Charakter, den Menschen, denen sie begegnete und der Zeit, in der sie aufwuchs. Allerdings, ohne Wissen, Zutrauen und Frömmigkeit hätte sie den Weg wohl kaum gehen können.

Denn sie brach mit dem Erwartbaren.

Sie freundete sich seit Kindheit mit jüdischen Mitschülern an, unterstützte aus der Ferne ihre französische jüdische Freundin (die, das wußte Verena noch nicht, in der Resistance kämpfte) und nahm ein jüdisches Flüchtlingskind auf. Juden waren damals auch in der Schweiz nicht sonderlich beliebt.

Nach dem Krieg arbeitete sie als Sekretärin der evangelischen Kirchenleitung in Paris und versuchte die komplizierten Verhältnisse, Motive und Handlungen während der deutschen Besatzungszeit zu verstehen.

Ein gutes Jahr später ging sie zum neugegründeten Ökumenischen Rat der Kirchen in Genf und kümmerte sich u.a. um die Reorganisation der kriegsgeschädigten europäischen Kirchenstrukturen.

Dann tat sie den entscheidenden Schritt: sie war bereit, direkt im ehemaligen Feindesland, in Deutschland, zu arbeiten, ja, bald noch mehr: in einem Flüchtlingslager für deutsche Flüchtlinge. Es waren dort Menschen, die vor den sowjetischen Truppen hatten fliehen müssen (oder vertrieben worden waren), die ihre Heimat in den östlichen Gebieten Deutschlands verloren hatten.

Also war Verena nicht nur bereit, die Leiden der bisher Verfolgten zu lindern, sondern: jegliches Leid. Die Flüchtlinge, die sie in Deutschland (Espelkamp) vorfand, waren traumatisiert, heimatlos, besitzlos, oft waren es Witwen und Waisen. Sie hatten kaum Fürsprecher. Sie gehörten zum Strandgut des Krieges.

Aus der Lagerarbeit tat Verena schließlich den endgültigen Schritt: Sie heiratete einen Deutschen. Nicht irgendeinen, sondern den Bruder ihrer besten Freundin, Hildur von Hammerstein, die sie aus dem gemeinsam verbrachten Jahr in Genf kannte: Franz. Und mit Franz von Hammerstein, dessen Brüder wie Stauffenberg den Sturz Hitlers versucht hatten - und der darum im Zuge der Sippenhaft 1944 bis zum Kriegsende selbst inhaftiert worden war- , begann ein ganz neues Kapitel. 

Die Zuwendung zu denen auf der jeweils anderen Seite und die Treue zu ihren jüdischen Freundinnen blieb. In diesem Sinne suchte und fand Verena ihren eigenen Part, obgleich sie nun den Berufsstationen von Franz folgte: ein mehrjähriges Pfarramt in den USA, das Industriejugendpfarramt, die Aktion Sühnezeichen-Leitung, das Juden-Christen-Referat beim Genfer Ökumenischen Rat der Kirchen, die Leitung der Evangelischen Akademie Berlin (West) - um nur einige zu nennen. Franz hatte in all diesen Ämtern seiner Frau viel zu verdanken. Aber sie erschloß sich darüber hinaus immer mehr eigene Felder. Das größte davon war lange die führende Mitarbeit in größeren und kleineren Organisationen der Entwicklungshilfe, engagiert, unprätentiös und nach neuem Selbstverständnis, Wegen und Ideen suchend.

rainStein war eines der späten Projekte. Aber auch hier war es die Reaktion auf ein offensichtliches Problem: die Sprachlosigkeit zwischen den Generationen, die in Städten rasant zunehmende Anonymität sowie der damit zusammenhängende Verlust von Erinnerung.

Wir waren uns einig, wie nötig es wäre, das Gespräch zwischen den Generationen zu beginnen. So entstand unser Mehrgenerationenprojekt "rainStein" zur Erinnerungskultur. Wir experimentierten, Menschen zwischen 18 und 80 waren beteiligt. 

Nach Jahren noch besteht heute der rainStein Verlag. Verena von Hammerstein trug vielfältig zum Projekt bei. U.a. entstanden mit ihr bei rainStein der Interview-Film "Ich hätte keine Angst" und das Buch "Verena von Hammerstein und ihre jüdischen Freundinnen" (Vorwort: Sara Nachama).

Womit ihr Leben begann, so beschloß sie es: mit der Hingabe an ihren Glauben, ihrer Sorge um ihre jüdischen Freunde und ihrer Sehnsucht, sie möge auf dieser Welt ein Segen gewesen sein. 

Und das war Verena: Ein Segen. Jetzt ist es an uns, zu erinnern.



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