10.05.21

Bücher in Flammen


Es war im wunderschönen Mai, als alle Vögel sangen - da brachte man Stimmen zum Schafott, die andere Melodien kannten. Am 10. Mai 1933 vernichteten jubelnde Berliner Studenten und Professoren jene Bücher und Schriften, die nicht 100 Prozent der Meinung des Führers, der Partei oder auch nur des "Stürmers" waren. Aber zwischen diesen und auch den persönlichen Abneigungen der am Opernplatz Feiernden war kaum ein Unterschied. Jeder, der als "entartet" benannt, als abweichlerisch, unvölkisch, asozial oder revisionistisch ausgerufen war, wurde hier verbrannt: noch nicht er, physisch, sondern vorerst seine Worte, seine Meinung, sein Denken. Seine Stimme auf dem öffentlichen Markt und in der Aula der Universität. Er sollte verstummen. Und jeder, der hinfort wagen sollte, sich zu ihm zu gesellen, ihn zu lesen, zu zitieren oder ihm anderweitig zuzustimmen oder auch nur entfernt Ähnliches zu äußern oder irgendwie bei ihm zu stehen, würde mit ihm in die Flammen gehen und ausradiert werden. So kam es: Sie wurden ausgeschlossen aus der Reichsschrifttumkammer, ausgelistet in den Buchläden und Bibliotheken, nie mehr erwähnt in Zeitungen, Besprechungen, Plakaten. Keine Verlage mehr, keine Druckereien, keine Agenten, keine Werbung, keine Lesungen. Dafür fanden sie sich übergossen mit einem unsichtbaren Gift. Anderen war durch diese Kennzeichnung jeder geheime und öffentliche Angriff auf die Autoren, ihre Wohnungen und Familien, ihre Freunde und Leser erlaubt: straffrei, ja der lauten Zustimmung sicher.
Es war nicht das erstemal in der Geschichte, daß dies so geschah. Nur war es jetzt schnell landesweit bekannt, jeder hatte Zeitungen, jeder hörte Radio. Jeder wußte Bescheid.
Und man duckte sich im Land. Man las nicht (oder sehr heimlich). Man redete nicht, nicht einmal mehr mit Freunden - darüber. Man fragte nicht mehr danach. Die meisten vergaßen.
Nur wenige Jahre später: Die, die gerade erst noch verbrannt worden waren, kamen zu Ehren, wurden überall gedruckt, besprochen, gelesen, gefeiert - ja, der Scheiterhaufen hatte gebrannt, aber er hatte verloren. Am Ende hatte er nur vorweggenommen und kenntlich gemacht, wer es wert war, von kommenden Generationen gelesen zu werden. 
Denn die, die die Bücher zusammentrugen und die Flammen entfachten, kennt man nicht mehr. Sie sind, was sie sich als Herren, als Elite, als die Guten und Gerechten dieser Welt, nie hatten vorstellen konnten: vergessen, auf immer.

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